Viele ältere Patientinnen und Patienten sind täglich mit der Anwendung einer komplexen Arzneimitteltherapie konfrontiert. Probleme im Umgang mit Arzneimitteln können unerkannt bleiben und die Adhärenz sowie die intendierten Therapieziele gefährden. Bisherige Studien haben den Umgang älterer Patientinnen und Patienten mit Arzneimitteln nicht objektiv und umfassend für alle gängigen Darreichungsformen analysiert. Ziel unserer Analyse von Daten der ABLYMED-Studie („ability to self-administer medication in non-demented in-hospital patients“) war es daher, subjektive und objektive Probleme bei der Medikamentenanwendung bei älteren Patientinnen und Patienten mit eigenverantwortlichem Medikamentenmanagement und Polypharmazie für verschiedene Darreichungsformen valide zu erfassen und zu ermitteln, inwieweit diese übereinstimmen oder voneinander abweichen. Es handelt sich um eine Teilanalyse der ABLYMED-Studie, deren übergeordnetes Ziel die Entwicklung eines alltagstauglichen Assessmentinstruments zur Erfassung des Medikamentenmanagements älterer Patientinnen und Patienten ist.

Methode

Wir analysierten die Daten der ABLYMED-Studie (Ethikvotum Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf 2021–1435, schriftliche Einwilligung der Teilnehmenden liegt vor), die subjektive und objektive Maße zu Problemen im Umgang mit Medikamenten bei 100 Patientinnen und Patienten der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie und der Klinik für Gefäß- und Endovaskularchirurgie des Universitätsklinikums Düsseldorf (≥ 70 Jahre, ≥ 5 Medikamente in Dauermedikation mit eigenständigem Medikamentenmanagement) erfasste (1). Die subjektiven Maße, die bei allen 100 Teilnehmenden erhoben wurden, waren Fragebögen zu Handhabungsproblemen (ja/nein) für jede aktuell verordnete Darreichungsform der Hausmedikation (aktuell verordnete Arzneimittel laut Anamnese) (2). Als Handhabungsprobleme wurden wiederkehrende Schwierigkeiten beim Öffnen, Richten und Applizieren der verordneten Darreichungsformen definiert. Objektive Maße, die aus zeitlichen, gesundheitlichen oder persönlichen Gründen von 67 der 100 Teilnehmenden erhoben wurden, waren die Qualitätsbeurteilungen der praktischen Handhabung von 5 verschiedenen Placebodarreichungsformen (Tabletten, Augentropfen, Tropfen, Pens und Pflaster) (3, 4). Die Handhabung wurde unabhängig von der Hausmedikation bei jedem Teilnehmenden der Studie für alle 5 Darreichungsformen überprüft, um einen umfassenden Eindruck von den Fähigkeiten im Umgang mit Medikamenten zu erhalten. Die Handhabung wurde in tonlosen Videoaufnahmen mit einer Handykamera im Patientenzimmer aufgezeichnet. Die Aufnahmen zeigten die Hände der Patientinnen und Patienten bei der instruierten Anwendung der Placeboarzneimittel und wurden in einem standardisierten Bewertungsverfahren durch zwei Beurteiler bewertet, die für jede Darreichungsform einen Gesamteindruck (sehr gut [1], gut [2], mittelmäßig [3], schlecht [4], sehr schlecht [5]) abgaben. Aus den Bewertungsergebnissen der beiden Gutachter wurde der Mittelwert gebildet und auf die nächste ganze Zahl aufgerundet. Ein Gesamteindruck von 4 oder 5 wurde als Handhabungsproblem definiert.

Ergebnisse

Von den 100 in die Studie eingeschlossenen Patientinnen und Patienten gaben 67 (Alter [Mittelwert ± Standardabweichung]: 78 ± 6 Jahre; 33/67 [49 %] waren Frauen) ihr schriftliches Einverständnis zur Videoaufzeichnung. Die mittlere Anzahl der Arzneimittel in der Hausmedikation betrug 10 ± 3. 23/65 (35 %) Patientinnen und Patienten hatten objektive Handhabungsprobleme bei Tabletten, 4/64 (6 %) bei Augentropfen, 11/65 (17 %) bei Tropfen, 27/61 (44 %) bei Pens und 21/63 (33 %) bei Pflastern (Grafik). Insgesamt hatten 39/67 (58 %) Handhabungsprobleme bei mindestens einer Darreichungsform. Die Interrater-Reliabilität lag je nach Darreichungsform zwischen mäßig und substanziell: gewichtete Kappa-Werte [95-%-Konfidenzintervall]: Tabletten 0,5 [0,4; 0,7], Augentropfen 0,5 [0,3; 0,7], Tropfen 0,4 [0,3; 0,5], Pen 0,4 [0,3; 0,5] und Pflaster 0,6 [0,5; 0,8]. Für jede Darreichungsform konnten Patientinnen und Patienten identifiziert werden, die zwar im Fragebogen bei der Hausmedikation keine Probleme angaben, aber im Praxistest objektiv Handhabungsprobleme zeigten (Tabelle) (Tablettenverpackung öffnen 2/41 [5 %], Tabletten teilen 4/36 [11 %], Augentropfen 1/12 [8 %], Tropfen 1/2 [50 %], Pen 4/14 [29 %] und Pflaster 1/2 [50 %]). Umgekehrt gab es auch Patientinnen und Patienten, die subjektive Probleme bei der Handhabung von Tabletten (Tablettenverpackungen öffnen 20/24 [83 %], Tabletten teilen 4/4 [100 %]), Augentropfen (6/6 [100 %]) und Tropfen (1/1 [100 %]) berichteten, die objektiv nicht bestätigt werden konnten (Tabelle).

Anteil Patientinnen und Patienten mit/ohne Probleme in den Videos von 5 verschiedenen Placebodarreichungsformen

Grafik

Anteil Patientinnen und Patienten mit/ohne Probleme in den Videos von 5 verschiedenen Placebodarreichungsformen

Im Abbildungsverzeichnis
Anteil Patientinnen und Patienten in Prozent (absolut) mit/ohne Probleme im Fragebogen oder in den Videos

Tabelle

Anteil Patientinnen und Patienten in Prozent (absolut) mit/ohne Probleme im Fragebogen oder in den Videos

Im Abbildungsverzeichnis

Diskussion

In unserem Kollektiv von Patientinnen und Patienten mit eigenständigem Medikamentenmanagement hatte mehr als die Hälfte (58 %) Probleme im Umgang mit mindestens einer Darreichungsform. Dabei hatte ein erheblicher Anteil (35 %) Probleme in der Handhabung von Tabletten, der am häufigsten verordneten Darreichungsform. Die Handhabungsprobleme sind vielfach auf den Öffnungsmechanismus der Verpackung zurückzuführen wie auf eine kindergesicherte Tropfflasche oder eine Tablettendose. Einschränkend ist die teilweise nur mäßige oder moderate Übereinstimmung der Beurteilerbewertungen zu erwähnen. Eine wesentliche Erkenntnis unserer Untersuchung ist, dass die subjektive Einschätzung der Patientinnen und Patienten zum Medikamentenselbstmanagement von ihrer objektiven Leistung abweicht. Auffallend ist neben dem Anteil der Patientinnen und Patienten, die subjektiv keine Handhabungsprobleme empfinden, aber objektive Probleme zeigen, auch der Anteil der Patientinnen und Patienten, die Handhabungsprobleme wahrnehmen, die sich aber objektiv nicht bestätigen lassen. Möglicherweise handelt es sich dabei um Personen, die in Zukunft objektive Handhabungsprobleme haben werden. Eine praktische Überprüfung der Medikamentenhandhabung kann tatsächlich vorhandene, aber nicht zuverlässig selbstberichtete Probleme aufdecken. Um Handhabungsprobleme im klinischen Alltag effizient und objektiv zu erkennen, bedarf es eines Bewertungsinstruments, das im geriatrischen Assessment noch nicht etabliert ist und im Rahmen der ABLYMED-Studie entwickelt wird.

Anneke Luegering, Helmut Frohnhofen, Robert Langner, Stefan Wilm, Thorsten R. Doeppner, Dirk M. Hermann, Joachim Windolf, Janine Gronewold

Interessenkonflikt

AL wurde durch die Paul-Kuth-Stiftung Wuppertal finanziell für die Freistellung zur wissenschaftlichen Arbeit gefördert.

HF ist Mitglied im Kuratorium der Paul-Kuth-Stiftung.

Die weiteren Autorinnen und die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Manuskriptdaten
eingereicht: 19.06.2024, revidierte Fassung angenommen: 30.09.2024

Zitierweise
Luegering A, Frohnhofen H, Langner R, Wilm S, Doeppner TR, Hermann DM, Windolf J, Gronewold J: Assessing medication self-management by the elderly—a comparison of subjective and objective indicators from the ABLYMED study.
Dtsch Arztebl Int 2025; 122: 55–6. DOI: 10.3238/arztebl.m2024.0214