Wenige Wochen vor der Bundestagswahl präsentieren ärztliche Verbände, gesundheitspolitische Organisationen sowie Krankenkassen ihre Wünsche an eine künftige Bundesregierung. Gemeinsamkeiten finden sich bei der Sorge um die Finanzen und der Patientensteuerung.

Foto: picture alliance/photothek.de/Thomas Trutschel
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Patientensteuerung, schnelle Strukturreformen, Verbesserungen an der Krankenhausreform, ein Finanzierungskonzept für die gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen und mehr Gesundheitsschutz für die Gesellschaft: Viele Forderungen an die künftige Gesundheitspolitik haben die Organisationen und Verbände in den vergangenen Wochen veröffentlicht. Der Tenor dabei: Die hohen Summen, die im Gesundheitswesen ausgegeben werden, müssten in bessere Strukturen fließen sowie eine sinnvolle Steuerung von Patientinnen und Patienten. Zudem müsse es Rezepte gegen den „doppelten demografischen Wandel“, also dem gleichzeitigen drohenden Fachkräftemangel durch den Renteneintritt der Babyboomer-Generation sowie die älter werdende Bevölkerung insgesamt, geben. Auch wenn im Wahlkampf der Bundestagsparteien bisher wenig über die Themen der künftigen Versorgung debattiert wird, zeigen Umfragen, dass der Bevölkerung die Themen „Pflege und Gesundheit“ sehr wichtig sind. Je nach Befragung sind die Themen noch vor Wirtschaft und innere Sicherheit.

Die Herangehensweisen, die Herausforderungen im Gesundheitswesen zu lösen, sind dabei in den Verbänden und Organisationen unterschiedlich: So fordert die Bundesärztekammer (BÄK) „mutige Reformschritte“, bei der aber auch die Prävention von Krankheiten nicht vergessen werden darf. „Die Gesundheitsversorgung in Deutschland steht vor massiven Herausforderungen, die mutige Reformen in allen Leistungsbereichen des Gesundheitssystems erfordern. Prävention, Versorgungssteuerung, Entbürokratisierung und die nachhaltige Sicherung der Finanzierung unseres Gesundheitswesens gehören in den Fokus der neuen Bundesregierung“, betonte BÄK-Präsident Dr. med. (I). Klaus Reinhardt bei der Vorstellung der Forderungen an die Politik Anfang Januar.

Er forderte zudem mehr Koordination in der Patientenversorgung. Bislang erfolge der Zugang zur medizinischen Versorgung komplett ungesteuert. So gebe es in bestimmten Regionen Menschen, die zwei Hausärzte haben und Leistungen in Anspruch nehmen. „So etwas können wir uns bei zunehmender Personalnot und knapper Kassen nicht mehr leisten“, warnte Reinhardt. Die politische Umsetzbarkeit eines Primärarztsystems schätze er als gut ein. Wichtig sei dabei ein gewisses Maß an Verbindlichkeit.


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Tage werden neuen Regierungen oder Ministern im Amt oft gegeben, um sich thematisch einzuarbeiten. In dieser Zeit werden oft auch erste Gesetze erwartet.


Wahlkampf im Wartezimmer

Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband will mit einem „Wahlkampf im Wartezimmer“ auf seine Interessen aufmerksam machen. Dazu zählt eine Plakataktion für eine Bundestagspetition: In den nächsten Wochen sollen 50 000 Praxen Plakate aufhängen, in der für die Petition geworben wird. Dabei gehe es um drei Forderungen: die Stärkung der Hausarztzentrierten Versorgung (HzV), die Entbudgetierung der hausärztlichen Leistungen sowie die bessere Finanzierung der Praxismitarbeitenden. „Wir machen jetzt Wahlkampf in den Wartezimmern. Wir präferieren dabei unser eigenes Programm, geben aber keine Wahlempfehlung für eine politische Partei ab“, erklärte die Co-Bundesvorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, Prof. Dr. med. Nicola Buhlinger-Göpfarth bei der Vorstellung Mitte Januar.

Weitere ärztliche Verbände und Organisationen wollen in den kommenden Tagen ihre Forderungen an die Politik in der nächsten Legislatur vorstellen. Dazu zählt auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die Ende Januar Forderungen präsentieren will. Anfang Dezember hatte die KBV einen ersten Forderungskatalog vorgelegt: Darin wird von der künftigen Regierung die nachhaltige Unterstützung von freiberuflich-selbstständigen Strukturen in der ambulanten Versorgung gefordert. Zudem müsse es eine nachhaltige Finanzierung des Gesundheitswesens und der gesetzlichen Krankenversicherung (sowie die Umsetzung eines Bürokratieentlastungsgesetzes geben. Den Stillstand, den die vergangene Legislatur bei der Zukunftssicherung der ambulanten Versorgung verursacht habe, müsse in den ersten 100 Tagen einer neuen Bundesregierung mit einem „Praxiszukunftsgesetz“ beenden. Auch müsse in diesen ersten Monaten einer neuen Regierung die Budgetgrenzen für alle ambulant tätigen Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und -therapeuten abgeschafft und ein Bürokratieentlastungsgesetz umgesetzt werden.


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Ein 100 Tage-Programm für die Gesundheitspolitik haben die Kassenärztliche Bundesvereinigung sowie der Virchowbund unabhängig voneinander vorgelegt. Ein Zukunftsgesetz für ambulante Praxen fordern beide darin.


Der Virchowbund hat ebenso ein „Sofortprogramm für die ersten 100 Tage“ Anfang des Jahres ausgearbeitet und fordert darin vier zügige Gesetze: eine Bestandsaufnahme der Finanzen mit ersten Stabilisierungsmaßnahmen per Vorschaltgesetz, ein Praxisstärkungsgesetz, ein Versorgungs- und Digitalisierungsgesetz (mit Notfallreform) sowie ein Gesundheitszukunftsgesetz zur „mittel- und langfristigen Stabilisierung des Gesundheitswesens“. Dazu gehöre auch eine Erhöhung von Medizinstudienplätzen und der Ersatz des Numerus clausus durch ein Punktesystem.

Deutliche Korrekturen an der bisherigen Regierungsarbeit forderte die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG): So müsse zügig nach der Wahl die „wirtschaftliche Stabilität während der Transformation der Krankenhausstrukturen gesichert werden“, sagte Gerald Gaß, DKG-Vorstandsvorsitzender Mitte Januar. Die im Zuge des Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes (KHVVG) beschlossene Rechtsverordnungen müssten präzise bearbeitet werden und dürften nun „nicht im Schnelldurchgang“ verabschiedet werden. „Außerdem muss in diesem Zusammenhang zwingend die Vorhaltefinanzierung ausgesetzt werden“, forderte Gaß, die jegliche Planung erschwere. Zudem fordert die DKG den Abbau von Bürokratie, einen Plan gegen den Fachkräftemangel, eine Neugestaltung der Qualitätssicherung, weniger Personalvorgaben und eine bessere Digitalisierung.

Mehr Effizienz in der Versorgung

Forderungen, die nicht immer von den Krankenkassen teilweise geteilt werden – denn hier setzt man auf die Wirkung der Krankenhausreform und damit einhergehende Effizienz. „Begrenzte Ressourcen wie Fachkräfte und finanzielle Mittel müssen wieder gezielt eingesetzt werden – und zwar dort, wo sie den größten Nutzen und die qualitativ beste Medizin garantieren“, heißt es vom AOK-Bundesverband Mitte Januar. Mit dem Vorschlag, „Maßnahmen ohne erkennbaren Nutzen in der Versorgung“ zu streichen und damit auch die Entbudgetierung bei den Pädiatern zurückzunehmen, wurde postwendend von den Kinder- und Jugendärzten und der KBV deutlich kritisiert. Der AOK-Bundesverband will zudem mehr Freiraum für die gemeinsame Selbstverwaltung sowie mehr wirtschaftliche Handlungsspielräume für Krankenkassen.

Der Wunsch nach wirtschaftlicher Stabilität und eigenständigem Handeln unterstützt auch die Techniker Krankenkasse. Dazu soll es auch ein „Sofortprogramm zur Ausgabenbegrenzung“ geben. Zudem soll beim Zugang zum Gesundheitssystem vor allem eine digitale Ersteinschätzung im Behandlungsfall, um so Versicherte schneller „zur richtigen Versorgung“ zu führen.

Weitere Verbände und Einzelkrankenkassen werden – nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe – mit Positionspapieren folgen.