
Antibiotikaallergien sind Überempfindlichkeitsreaktionen auf Medikamente, bei denen IgE- oder T-Zell-vermittelte immunologische Mechanismen nachweisbar oder sehr wahrscheinlich sind. Bei 5–10 % der Bevölkerung wird eine Penicillinallergie vermutet. Bei Verdacht wird häufig „Penicillinallergie“ in der Krankenakte vermerkt mit der Folge, dass Patientinnen und Patienten oft eine suboptimale Antibiose erhalten: ein Breitspektrumantibiotikum 2. oder 3. Wahl zum Beispiel, unter Umständen weniger effektiv in Prophylaxe oder Therapie und mit höheren Resistenzrisiken assoziiert.
In einem systematischen Review mit Metaanalyse ist untersucht worden, ob bei Verdacht auf Penicillinallergie ein direkter oraler Provokationstest sicher ist und wie häufig unter den Studienteilnehmern Penicillinallergien waren. Von einer Penicillin- allergie wurde ausgegangen bei typischen klinischen Zeichen einer echten allergischen Reaktion, vom Soforttyp zum Beispiel (IgE-vermittelt) oder vom verzögerten Typ (T-Zell-vermittelt).
Eingeschlossen wurden 56 Studien mit insgesamt 9 225 Patientinnen und Patienten mit niedrigem Risiko, also ohne Hinweis auf eine schwere allergische Reaktion. Bei knapp der Hälfte der Teilnehmer, nämlich 4 585, erfolgte die direkte Penicillingabe im ambulanten Setting unter strikter Aufsicht, entweder in üblicher Dosierung oder gesplittet in mehrere kleinere Dosierungen. 438 von ihnen entwickelten eine allergische Reaktion, also 3,5 % unter den Studienteilnehmern (95-%-Konfidenzintervall [2,5 %; 4,6 %]).
Bei den pädiatrischen Teilnehmern waren allergische Reaktionen auf die oralen Provokationstests mit 6,6 % häufiger als bei Erwachsenen (2,2 %) und als im Durchschnitt der Gesamtpopulation mit 3,5 %. In europäischen Studien lag die Penicillinallergie-Häufigkeit mit 5,9 % ebenfalls höher als im Durchschnitt.
Nur 5 von 9 225 Patienten hatten schwere Reaktionen auf die direkte Penicillingabe: 3 anaphylaktische Reaktionen, 1 Patient Hautausschlag plus Fieber und ein weiterer eine akute Nierenfunktionsstörung. Keine war tödlich. Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze
Blumenthal KG, Smit LR, Mann JTS, et al.: Reaction risk to direct penicillin challenges. A systematic review and meta-analysis. JAMA Intern Med 2024; DOI: 10.1001/jamainternmed.2024.4606.
Fazit: „Diese Studie zeigt sehr schön, dass der direkte orale Provokationstest (DOP) eine sichere und effektive Option zum Delabeling von Penicillinallergien in Niedrigrisiko-Populationen ist“, kommentiert Dr. med. Till Koch vom Antibiotic Stewardship Team des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. „Werden Patienten ausgewählt, die keine schwere allergische Reaktion auf Penicillin in der Anamnese haben, kann das Label ‚Penicillinallergie‘ mittels DOP einfach und sicher entfernt werden. Die Studie von Blumenthal et al. schließt deutlich mehr Teilnehmer ein als eine frühere, systematische Übersichtsarbeit (2021), die ebenfalls eine Häufigkeit an allergischen Reaktionen nach DOP von circa 3,4 % festgestellt hatte. Beruhigend ist, dass schwere allergische Reaktionen nach DOP so gut wie nie vorkamen, nämlich zu 0,05 %.“