Vor viszeralonkologischen Eingriffen haben viele Patientinnen und Patienten Angst. Eine notwendige Voraussetzung, sich für solch einen Eingriff entscheiden zu können, ist ein adäquates Patientenverständnis. Dies beschreibt die Fähigkeit, Informationen über Gesundheit, Behandlungsmöglichkeiten und medizinische Anweisungen zu verstehen sowie an informierten Entscheidungsfindungen teilzunehmen. Es gibt Hinweise darauf, dass psychische Belastungen das Informationsverständnis beeinträchtigen könnten (1). Hierbei wird vermutet, dass ein negativer Zusammenhang zwischen Gesundheitskompetenz und emotionalen Belastungen sowie eine positive Beziehung zwischen Bildungsniveau, Gesundheitskompetenz und subjektiver Informiertheit besteht (2).
Methoden
114 volljährige Patientinnen und Patienten wurden vor einem viszeralonkologischen Eingriff am Universitätsklinikum Halle und nach ihrer chirurgischen Aufklärung zum emotionalen Befinden und ihrem Verständnis befragt. Der Fragebogen erfasste die Gesundheitskompetenz (Health literacy survey – HLS), Angst- und Depressionssymptome (Hospital anxiety and depression scale – HADS) und enthielt deutsche Übersetzungen zum subjektiven Gefühl der Informiertheit (Informed decision making – IDM) sowie zu Sorgen hinsichtlich der Operation (Surgical anxiety questionnaire – SAQ). Zudem schätzten Patientinnen und Patienten die Auftretenswahrscheinlichkeit von Eingriffskomplikationen auf einer visuellen Analogskala ein. Die Komplikationen wurden mit Beispielen versehen sowie hinsichtlich ihrer Schwere nach Clavien-Dindo klassifiziert (CD1: Abweichung vom normalen postoperativen Verlauf, ohne invasive Therapie; CD2: pharmakologische Therapeutika, parenterale Ernährung, Bluttransfusion; CD3: chirurgische, endoskopische oder radiologische Intervention; CD4: lebensbedrohliche Komplikation, intensivmedizinische Behandlung; CD5: Tod) und anschließend mit in der Fachliteratur veröffentlichten Komplikationsraten verglichen (3).
Die Studie wurde von der lokalen Ethikkommission genehmigt (MLU 2021–223). Zur statistischen Analyse mit SPSS wurden Pearson-Korrelationen zwischen Gesundheitskompetenz, psychischen Belastungen, Lebensalter und informierter Entscheidungsfindung bestimmt. Potenzielle Disparitäten in psychischen Belastungen und Gesundheitskompetenz im Kontext unterschiedlicher Bildungsabschlüsse wurden mittels einfaktorieller ANCOVA und Bonferroni-korrigiertem Post-Hoc-Test analysiert.
Ergebnisse
114 Patientinnen und Patienten (medianes Alter 67; 42,1 % weiblich) wurden in die Studie eingeschlossen. Von diesen hatten 17,5 % keinen formellen Schulabschluss und 65,8 % einen mittleren Bildungsabschluss (Hauptschule, Realschule, Gymnasium, Abitur, Fachabitur). 14 % der Patientinnen und Patienten verfügten über einen hohen Bildungsabschluss (Hochschulabschluss) (3 Patientinnen und Patienten ohne Angabe). Die Patientinnen und Patienten unterzogen sich einer elektiven onkologischen Operation des Gastrointestinaltraktes beziehungsweise hepatopankreatobiliären Systems.
Es bestand ein moderater negativer Zusammenhang zwischen der Gesundheitskompetenz und psychischen Belastungen, wobei eine niedrigere Gesundheitskompetenz mit höheren psychischen Belastungen korrelierte (HADS:r = −0,425, 95-%-Konfidenzintervall: [−0,57; −0,25] und SAQ:r = −0,369, [−0,52; −0,19]). Ein moderater positiver Zusammenhang bestand zwischen HLS und IDM. Je höher die Gesundheitskompetenz der Patientinnen und Patienten war, desto informierter fühlten sie sich (r = 0,495 [0,33; 0,63]).
Die psychischen Belastungen (HADS) unterschieden sich nach Adjustierung für Geschlecht und Alter für die unterschiedlichen Bildungsabschlüsse (F[2,98] = 3,42, p = 0,04; partielles η² = 0,07). Es zeigte sich ein Unterschied zwischen keinem Abschluss und mittlerem Abschluss (p = 0,035, MDiff = 6,38 [0,34; 12,42]). Zwischen den übrigen Gruppen konnte kein Unterschied festgestellt werden (Grafik 1).

Grafik 1
Mittelwerte mit Standardabweichung der psychischen Belastungen (HADS) und der Gesundheitskompetenz (HLS) von Patientinnen und Patienten mit unterschiedlichen Bildungs abschlüssen
Im AbbildungsverzeichnisNach Adjustierung für Geschlecht und Alter unterschied sich die Gesundheitskompetenz für die unterschiedlichen Bildungsabschlüsse (F[2,98] = 4,79, p = 0,01, partielles η² = 0,09), wobei ein Unterschied zwischen hohem Abschluss und keinem Abschluss bestand (p = 0,009, MDiff = 8,06, [1,63; 14,49]) (Grafik 1).
Es zeigte sich eine schwache negative Korrelation des Alters mit dem subjektiven Gefühl der Informiertheit (r = −0,233 [−0,41; −0,04]) und der Gesundheitskompetenz (r = −0,210, [−0,39; −0,02]). Die vorliegenden Daten ergaben hinsichtlich der psychischen Belastungen keine geschlechtsspezifischen Unterschiede.
Weniger als 60 % der Patientinnen und Patienten konnten Komplikationen realistisch einschätzen, ausgenommen CD5 (Tod). Mit zunehmender Schwere der Komplikationen, schätzten Patientinnen und Patienten diese realistischer ein, wobei Patientinnen und Patienten mit höheren psychischen Belastungen Komplikationen tendenziell überschätzten (Grafik 2).

Grafik 2
Mittelwerte mit Standardabweichung des Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS)-Scores der Patientinnen und Patienten, die Komplikationen unterschätzten, realistisch einschätzten und überschätzten
Im AbbildungsverzeichnisDiskussion
Die Ergebnisse zeigen potenzielle Zusammenhänge zwischen psychischen Belastungen und dem Patientenverständnis vor viszeralonkologischen Operationen. Interventionen zur Optimierung des Patientenverständnisses könnten insbesondere für ältere Patientinnen und Patienten und solche mit niedrigem Bildungsabschluss von Nutzen sein, da diese ein geringeres Patientenverständnis aufwiesen.
Die Gesundheitskompetenz korrelierte positiv mit der informierten Entscheidungsfindung. Ergebnisse aus der Literatur zeigen, dass Patientinnen und Patienten mit geringerer Gesundheitskompetenz Informationen schlechter verstehen und sich deshalb weniger an informierter Entscheidungsfindung beteiligen könnten (2).
Die Einschätzung der Auftretenswahrscheinlichkeit von Komplikationen bereitet Patientinnen und Patienten erhebliche Probleme und Patientinnen und Patienten mit höheren psychischen Belastungen überschätzten Komplikationen eher. Deshalb sollten Chirurginnen und Chirurgen die Verständnisebene ihrer Patientinnen und Patienten kritisch prüfen und die aktive Einbindung in den Prozess der informierten Zustimmung fördern. Eine Reduzierung präoperativer Ängste könnte so auch zu besseren postoperativen Outcomes führen (4).
Die Befunde implizieren, dass für die juristische Bewertung der Aufklärung die individuellen psychischen Zustände der Patientinnen und Patienten mit berücksichtigt werden sollten, um sicherzustellen, dass die Aufklärung angemessen durchgeführt wurde und die Patientinnen und Patienten in der Lage sind, eine informierte Entscheidung zu treffen.
Deshalb ergibt sich die Empfehlung, psychische Belastungen mit Selbstbeschreibungsbögen (HADS-Empfehlungsgrad A) zu erheben, um zum Beispiel eine gezielte psychoonkologische Abklärung zu veranlassen und eine informierte Entscheidungsfindung zu fördern (5).
Limitierend ist die geringe Anzahl der Patientinnen und Patienten in den einzelnen gemäß Bildungsabschluss eingeteilten Gruppen. Zudem könnten Patientinnen und Patienten durch psychische Belastungen verzerrte Erwartungen entwickeln, die erst im weiteren klinischen Verlauf ersichtlich werden.
Tina Gürlich, Peter Szatmary, Ulrich Ronellenfitsch, Heike Schmidt, Jörg Kleeff
Interessenkonflikt
Die Autorinnen und die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 18.02.2024, revidierte Fassung angenommen: 27.05.2024
Zitierweise
Gürlich T, Szatmary P, Ronellenfitsch U, Schmidt H, Kleeff J: The understanding and emotional state of patients about to undergo visceral surgery for cancer. Dtsch Arztebl Int 2024; 121: 750–1. DOI: 10.3238/arztebl.m2024.0119
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