Gesundheitsrelevante soziale Probleme wie beispielsweise Einsamkeit, finanzielle Probleme oder Probleme am Arbeitsplatz sind häufige Themen in der hausärztlichen Versorgung (1). Jedoch können Hausärztinnen und Hausärzte (HÄ) nur begrenzt in der Sprechstunde auf sie eingehen. Es gibt allerdings verschiedene Versorgungsmodelle zur Integration medizinischer und nichtmedizinischer Leistungen in der hausärztlichen Versorgung. Einige wurden bereits international implementiert oder in Deutschland in Pilotprojekten erprobt. Die vier wichtigsten Modelle sind Social Prescribing (2), arztpraxisinterne Sozialberatung, Gesundheitskioske und integrierte Primärversorgungszentren (Kasten). Ziel unserer Studie war es, den Bekanntheitsgrad und die gesundheitspolitische Bewertung der vier Versorgungsmodelle durch in Deutschland tätige HÄ zu erfassen.

Kasten
Versorgungsmodelle bei psychosozialen Problemen in der hausärztlichen Versorgung
Im AbbildungsverzeichnisMethode
Wir führten eine Befragung unter HÄ in Deutschland durch. Eine Zufallsstichprobe von 10 000 HÄ (gezogen durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung [KBV] aus dem Bundesarztregister) wurde per Post am 10.10.2023 (Reminder 13.11.2023) zur Teilnahme an der Befragung per Webformular eingeladen. In dem Fragebogen wurde die Bekanntheit der Versorgungsmodelle erfragt („Ich habe schon einmal etwas von dem Konzept [. . .] gehört oder gelesen.“) und anschließend die Modelle erläutert. Die Teilnehmenden (TN) wurden gebeten, die Modelle anhand der Frage zu ordnen, welches ihrer Meinung nach am ehesten in der Breite in Deutschland umgesetzt werden sollte. Darüber hinaus enthielt das Formular Fragen zur Person und Praxis. Die Daten wurden mithilfe des Statistikprogramms R (Version 4.0.2) ausgewertet. Die Analyse erfolgte vorrangig deskriptiv. Die Repräsentativität der TN wurde über einen Abgleich der KV-Region (KV, Kassenärztliche Vereinigung) und des Geschlechts mit der KBV-Stichprobe mittels Chi-Quadrat-Test überprüft. Die Befragung wurde von der Ethikkommission der Charité – Universitätsmedizin Berlin (EA2/154/23) genehmigt. Darüber hinaus wurde die Befragung im Deutschen Register Klinischer Studien registriert (DRKS-ID: DRKS00032585) und ein Protokoll wurde prospektiv veröffentlicht (3).
Ergebnisse
Stichprobe
9 833 HÄ konnte mindestens ein Brief zugestellt werden, davon antworteten 1 474, und 1 439 (Response 14,6 %) willigten in die Teilnahme ein. 603 (45,8 %) der TN waren weiblich, 702 männlich, 13 divers oder mit sonstigem Geschlechtseintrag. Das Durchschnittsalter der TN betrug 53,0 (Standardabweichung [SD] = 9,9) Jahre. Die TN verteilten sich gleichmäßig über Praxen in Landgemeinden, Kleinstädten, Mittelstädten und Großstädten. Die Verteilung der TN unterschied sich nicht von der Verteilung der angeschriebenen HÄ hinsichtlich der KV-Zugehörigkeit (χ2[240] = 255, p = 0,24) und des Geschlechts (χ2[6] = 8, p = 0,24).
Bekanntheit der Versorgungsmodelle
293 (20,7 %) der TN war Social Prescribing bekannt, 314 (23,2 %) der TN kannten die arztpraxisinterne Sozialberatung, 928 (68,8 %) der TN die Gesundheitskioske und 576 (42,8 %) der TN die integrierten Primärversorgungszentren. 309 TN (23,0 %) war keines der vier Versorgungsmodelle bekannt und 134 TN (10,0 %) kannten alle vier Versorgungsmodelle.
Rangfolge
Beim Ranking der Versorgungsmodelle nach der Frage, welches davon in Deutschland am ehesten umgesetzt werden sollte, wurden Social Prescribing und die arztpraxisinterne Sozialberatung am besten bewertet, integrierte Primärversorgungszentren etwas schlechter und der Gesundheitskiosk am schlechtesten (Tabelle).

Tabelle
Rangfolge der unterschiedlichen Versorgungsmodelle, welche am ehesten in der Breite in Deutschland umgesetzt werden sollten
Im AbbildungsverzeichnisDiskussion
Die Ergebnisse der Studie zeigen eine geringe Bekanntheit von integrierten Versorgungsmodellen bei in Deutschland tätigen HÄ. Social Prescribing und arztpraxisinterne Sozialberatung wurden am besten, der Gesundheitskiosk am schlechtesten eingeordnet.
Eine Stärke der Erhebung ist die deutschlandweite Zufallsstichprobe mit einer akzeptablen Responserate; ein Selektionsbias ist jedoch trotzdem nicht auszuschließen. Mehrere Merkmale, wie die Verteilung der TN über die KVen und über das Geschlecht entsprechen jedoch der Verteilung in der Stichprobe. Das HÄPPI-Modell (4) wurde erst nach Konzeption und Initiierung unserer Studie vorgestellt, daher konnte es in der Befragung nicht berücksichtigt werden. Wir erfragten jedoch die Sichtweise zu dem weitergehenden Konzept der integrierten Primärversorgungszentren.
Die Ergebnisse unserer Befragung zeigen, dass Versorgungsmodelle in der Breite wenig bekannt sind. Selbst der medial und berufspolitisch viel beachtete Gesundheitskiosk ist bei mehr als 30 % der in Deutschland tätigen HÄ nicht bekannt. Die anderen Versorgungsmodelle werden zwar wissenschaftlich diskutiert, sind jedoch der Mehrheit der HÄ unbekannt. Dabei ist die Bekanntheit der Angebote höher als in der Bevölkerung, in der 25 % Primärversorgungszentren kennen gegenüber 43 % der HÄ und 16 % Gesundheitskioske gegenüber 69 % der HÄ (5).
Es fällt auf, dass niedrigschwellige Modelle, die in die Praxis integriert werden, wie Social Prescribing und arztpraxisinterne Sozialberatung, von HÄ zur Umsetzung im Gesundheitssystem bevorzugt werden. Der Gesundheitskiosk als externes Angebot wird in dieser Befragung aus hausärztlicher Perspektive mehrheitlich abgelehnt. Dies steht im Gegensatz zu den Bestrebungen des Bundesministeriums für Gesundheit, das Konzept flächendeckend zu implementieren.
Die geringe Bekanntheit der Versorgungsmodelle zeigt, dass HÄ in Deutschland künftig aktiver in die Weiterentwicklung des Gesundheitssystems einbezogen werden sollten. Die versorgungswissenschaftlichen und berufspolitischen Diskussionen scheinen trotz der Einbindung von Fachgesellschaften und Berufsverbänden die in Deutschland tätigen HÄ bisher nicht in voller Breite zu erreichen. Niedrigschwellige in die Praxis integrierbare Angebote sollten aus hausärztlicher Sicht bevorzugt implementiert werden.
Wolfram J. Herrmann, Hendrik Napierala
Interessenkonflikt
WJH undd HN sind Mitglieder im Kompetenznetzwerk Social Prescribing und der AG Soziale Gesundheit der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). WJH ist darüber hinaus Vice Chair der WONCA Europe Special Interest Group Social Prescribing and Community Orientation.
Manuskriptdaten
eingereicht: 03.02.2024, revidierte Fassung angenommen: 23.05.2024
Zitierweise
Herrmann WJ, Napierala H: Care models for psychosocial problems in primary care—a survey on awareness and health policy assessment. Dtsch Arztebl Int 2024; 121: 748–9. DOI: 10.3238/arztebl.m2024.0116
Die englische Version des Artikels ist online abrufbar unter: www.aerzteblatt-international.de
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