Die Vorgabe einer jährlichen Mindestfallzahl gilt als wichtiges Instrument zur Sicherstellung optimaler Ergebnisse bei der Nierentransplantation (NT). In Deutschland fordert der Gemeinsame Bundesausschuss ein Minimum von 25 Fällen/Jahr (1). Grundlage ist ein postulierter kausaler Zusammenhang zwischen der Menge der erbrachten Leistungen und der Ergebnisqualität (2). Tatsächlich ist die Evidenzlage bei der NT hierfür widersprüchlich (3, 4, 5). Ziel unserer Studie war es, anhand der Qualitätsdaten der Transplantationszentren den gültigen Cut-Off-Wert von 25 Transplantationen/Jahr zu überprüfen.
Methoden
Wir analysierten Qualitätsberichte deutscher Krankenhäuser mit dem Tool „reimbursement.info“ und von der Deutschen Stiftung Organtransplantation veröffentlichte Tätigkeitsberichte der Zentren von 2013–2021. Die Liegedauer wurde über die bundesweite deutsche Krankenhausabrechnungsdatenbank (Destatis) erhoben. Verfügbare Endpunkte waren perioperative Komplikationen (Bluttransfusion oder Revisionsoperation), sofortige Aufnahme der Transplantatfunktion (maximal eine postoperative Dialyse) und gute Transplantatqualität bei Entlassung der Patientinnen und Patienten (glomeruläre Filtrationsrate [GFR] ≥ 20 mL/min). Die Anzahl der NT/Jahr wurde pro Zentrum als Durchschnitt der 2013–2021 jährlich durchgeführten Eingriffe ermittelt. Wir analysierten die Ergebnisse mit dem Grenzwert von 25 Fällen/Jahr und untersuchten mögliche Alternativen in Schritten von 20 Fällen/Jahr. Gruppenvergleiche erfolgten mit dem Chi2-Test. Des Weiteren wurden verallgemeinert lineare Modelle mit logistischer Linkfunktion und binomialverteilten Residuen unter Berücksichtigung von Clustereffekten durch „exchangeable Kovarianzstruktur“ angewandt. Aufgrund der multiplen Tests, für die die Analyse nicht adjustiert ist, sind Signifikanzen als deskriptive p-Werte zu verstehen.
Ergebnisse
Wir analysierten 12 409 postmortale NT und 5 096 Lebendspende-NT (Tabellen 1 und 2). Mit dem derzeit gültigen Cut-off-Wert von 25 NT/Jahr, der über alle Zentrumsgrößen hinweg 72-mal unterschritten wurde, gab es für postmortale NT einen Unterschied in den Komplikationsraten zugunsten kleinerer Zentren. Zentren mit höherer Fallzahl erzielten bessere Ergebnisse bei der sofortigen Transplantatfunktion. Hinsichtlich der guten Transplantatqualität bei Entlassung fand sich kein Unterschied. In Schritten von 20 NT/Jahr wurde die niedrigste Komplikationsrate bei einer jährlichen Fallzahl von ≤ 20 NT erreicht. Für die sofortige Transplantatfunktion zeigten Zentren mit > 80 NT die besten Ergebnisse. Die Rate der guten Transplantatqualität bei Entlassung war in Zentren mit > 80 NT am höchsten. Mit dem Cut-off-Wert von 25 NT/Jahr ergaben sich für Lebendspende-NT keine Unterschiede bei den Komplikationsraten. Die Rate in Bezug auf eine sofortige Transplantatfunktion war in Zentren mit ≥ 25 NT/Jahr höher. Die Rate hinsichtlich guter Transplantatqualität bei Entlassung unterschied sich nicht. Die geringste Komplikationsrate bei Lebendspende-NT wurde bei jährlichen Fallzahlen zwischen 61–80 erreicht. Im Hinblick auf die sofortige Transplantatfunktion wiesen Zentren mit hoher Fallzahl von ≥ 80 NT/Jahr die besten Ergebnisse auf. Die Rate an guter Transplantatqualität bei Entlassung war in Zentren mit ≤ 20 NT/Jahr am höchsten.

Tabelle 1
Perioperative Komplikationen, sofortige Transplantatfunktion und gute Transplantatqualität in Abhängigkeit der geforderten Mindestmenge von 25 NT/Jahr
Im Abbildungsverzeichnis
Tabelle 2
Perioperative Komplikationen, sofortige Transplantatfunktion und gute Transplantatqualität in Abhängigkeit der durchgeführten NT/Jahr
Im AbbildungsverzeichnisDie Rate an vollständigen Datensätzen betrug für postmortale und Lebendspende-NT für die perioperativen Komplikationen im Mittel 85 % und 96 %, für die sofortige Transplantatfunktion 87 % und 76 % und für die gute Transplantatqualität 77 % und 69 %. Der stationäre Aufenthalt war in Zentren mit geringer Fallzahl länger (Tabelle 2).
Diskussion
Unsere Ergebnisse stellen die aktuelle geforderte Mindestmenge infrage. Bei der postmortalen NT könnte eine strengere Organauswahl in Zentren mit geringerer Fallzahl das Outcome verbessern. Außerdem ist es denkbar, dass schwerer erkrankte Patientinnen und Patienten an größeren Zentren behandelt werden. Somit besteht eine Limitation unseres Datensatzes darin, dass weder Patientencharakteristika noch Transplantateigenschaften erfasst wurden.
Unterschiedliche Ergebnisse in dem Kennwert „Gute Transplantatqualität (bei Entlassung)“ könnten in Low-Volume-Zentren zum Teil durch längere Liegezeiten bedingt sein. Denn in diesen Low-Volume-Zentren wird die Nierenfunktion nach postmortalen Spenden durchschnittlich sechs Tage später erhoben. In Zentren mit größerer Fallzahl könnten ein ausbildungsbedingter Effekt und die Aufteilung der NT auf mehrere Operateurinnen und Operateure relevant sein. Wir vermuten, dass in Zentren, an denen Lebendspende-NT durchgeführt werden, tendenziell nur sehr erfahrene Operateure die Lebendspende-NT durchführen. Dies könnte ein Grund sein, warum in Zentren mit hoher Fallzahl bessere Ergebnisse bezüglich der sofortigen Transplantatfunktion erzielt wurden.
Eine weitere Limitation stellt die unterschiedliche Vollständigkeit der Datensätze für die verschiedenen Fallzahlkategorien dar; hier führen die Qualitätsberichte datenschutzrechtliche Gründe an. Insbesondere die Ergebnisse der Lebendspende-NT sind aufgrund lückenhafter Daten nur eingeschränkt aussagekräftig (in Zentren < 25 NT/Jahr Vollständigkeit für sofortige Transplantatfunktion 49 % und für gute Transplantatqualität 52 %). Zusätzlich sind die definierten Qualitätskriterien recht weit gefasst.
Insgesamt sprechen unsere Ergebnisse gegen den Nutzen einer Mindestfallzahl für die NT. Stattdessen sollten die erhobenen Qualitätssicherungsdaten auf der Ebene der Zentren genau überwacht und als maßgeblich für die Entscheidung betrachtet werden, ob an einem Zentrum transplantiert werden darf oder nicht. Denn Mindestfallzahlen können auch im besten Fall nur ein Surrogatparameter für Ergebnisqualität sein. Dieser verliert seine Berechtigung, sobald die Qualität selbst verbindlich erhoben wird.
Philipp Reimold, Cem Aksoy, Jonas Beckmann, Aristeidis Zacharis, Christer Groeben, Philipp Karschuck, Nicole Eisenmenger, Josef Geks, Rainer Koch, Luka Flegar, Johannes Huber
Klinik für Urologie, Philipps-Universität Marburg, Marburg (Reimold, Aksoy, Beckmann, Zacharis, Groeben, Karschuck, Koch, Flegar, Huber)
philipp.reimold@web.de
Reimbursement Institute, Hürth (Eisenmenger)
Klinik für Allgemein- Viszeral und Gefäßchirurgie, Philipps-Universität Marburg (Geks)
Danksagung
Dieser Beitrag ist Prof. Dr. med. Dr. h.c. Manfred Wirth (1949–2024) gewidmet. Er war akademischer Lehrer der Autoren AZ, CG, PK, LF und JH.
Interessenkonflikt
Die Autorin und die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 21.01.2024, revidierte Fassung angenommen: 26.06.2024
Zitierweise
Reimold P, Aksoy C, Beckmann J, Zacharis A, Groeben C, Karschuck P, Eisenmenger N, Geks J, Koch R, Flegar L, Huber J: The caseload requirement for renal transplantation—an analysis of German hospital quality assurance data from 2013–2021. Dtsch Arztebl Int 2024; 121: 746–7. DOI: 10.3238/arztebl.m2024.0139
Die englische Version des Artikels ist online abrufbar unter: www.aerzteblatt-international.de