Bei der Gründung des Bundes Deutscher Ärztinnen 1924 gab es 2 500 Ärztinnen im Deutschen Reich. Anlässlich der Gründung der Vorgängerorganisation stellt der Deutsche Ärztinnenbund heraus, wie eng Wandel und Widerstände für Ärztinnen im Beruf weiterhin beieinander liegen.

Feierstunde mit den Ärzteverbänden: Die Präsidentin des Ärztinnen bundes, Christiane Groß, gemeinsam mit dem Präsidenten der Bundesärztekammer, Klaus (I) Reinhardt, und der Vizepräsidentin und Vorsitzenden des Marburger Bundes, Susanne Johna. Foto: Jürgen Gebhardt
Feierstunde mit den Ärzteverbänden: Die Präsidentin des Ärztinnen bundes, Christiane Groß, gemeinsam mit dem Präsidenten der Bundesärztekammer, Klaus (I) Reinhardt, und der Vizepräsidentin und Vorsitzenden des Marburger Bundes, Susanne Johna. Foto: Jürgen Gebhardt

Die Themen, mit denen sich Ärztinnen in den vergangenen 100 Jahren konfrontiert sahen, lassen sich in erstaunlicher Konsistenz unter den Begriffen Benachteiligung und Gleichberechtigung von Ärztinnen subsumieren.“ Für Prof. Dr. theol. Sabine Schleiermacher vom Institut für Geschichte in der Medizin und Ethik in der Medizin an der Berliner Charité sind die vergangenen 100 Jahre seit der Gründung des Bundes Deutscher Ärztinnen in vielen Bereichen der Berufstätigkeit von Frauen in der Medizin von der gleichen Argumentation gekennzeichnet: „Die Argumente gegen ein Universitätsstudium von Frauen ähnelten in den 1950er-Jahren den Argumenten von 1900. Flankierend durch das Bundesgesetzblatt, war nach dem Zweiten Weltkrieg wieder die traditionelle Rollenverteilung vorherrschend, nach der Frauen zur Führung des Haushaltes, nicht aber für die Erwerbstätigkeit vorgesehen sind“, so Schleiermacher. „Auch ein Teil der Ärzteschaft, die in den 1950er-Jahren zum größten Teil aus Männern bestand, äußerte sich kritisch über die Erwerbstätigkeit der Frau oder die gesundheitlichen Auswirkungen auf ihre Gesundheit.“

„Mehr Frauen im ärztlichen Beruf sind nicht nur kein Problem, sie können wesentlicher Teil der Lösung sein,“ sagte Dr. med. Christiane Groß, die seit zehn Jahren Präsidentin des Ärztinnenbundes ist, mit Blick auf die aktuellen Reformdebatten.

Der Bund Deutscher Ärztinnen, der sich am 25. Oktober 1924 in Berlin gründete, wollte auf die damalige Diskriminierung der Frauen im Beruf hinweisen und dieser entgegenwirken. 100 Jahre später, am 25. Oktober 2024, feierte die 1950 wieder gegründete Nachfolgeorganisation Deutscher Ärztinnenbund diesen Gründungstag.

Christiane Groß

Christiane Groß, Präsidentin des Ärztinnenbundes

Versorgung von Kindern

1924 gab es im Deutschen Reich etwa 2 500 Ärztinnen, die sich damals bei der Gründung vor allem mit der „Bearbeitung der sozialhygienischen Fragen vom Standpunkt der Ärztin als Frau“ beschäftigten, berichtet Schleiermacher von der Charité. 100 Jahre später zählt die Ärztestatistik der Bundesärztekammer 212 261 berufstätige Ärztinnen. Zum Studium der Medizin wurden Frauen im Deutschen Reich 1899 zugelassen –deutlich später als beispielsweise in der Schweiz. Viele Frauen, die zunächst in Bern oder Zürich Medizin studierten, durften im Deutschen Reich nicht arbeiten, ihre Examina wurden nicht anerkannt, so Schleiermacher. Anstellungen suchten und fanden sie oftmals in der öffentlichen Gesundheit. „Viele Ärztinnen widmeten sich der Versorgung von Frauen und Kindern und damit einer Patientenschaft, die zu den Unterprivilegierten der Gesellschaften des Kaiserreiches sowie der Weimarer Republik gehörten.“

Einer Meinung waren die Ärztinnen von damals nicht immer: Diskussionen gab es im Bund Deutscher Ärztinnen, der 1933 etwa 900 Mitglieder zählte und damit ein Viertel aller damaligen Ärztinnen repräsentierte, auch zum Thema des Schwangerschaftsabbruchs. Der Paragraf 218 hielt bereits damals das Verbot fest. „Ärztinnen werden oft als homogene Gruppe gesehen, doch die Meinungen im Verband gingen hier weit auseinander, in dem Kommunistinnen, Protestantinnen sowie national eingestellte Ärztinnen vertreten waren“, so Schleiermacher.

Auseinandersetzungen innerhalb der Ärzteschaft gab es auch zum Thema Kassenarztsitze: Die heftig umkämpfte Zulassung sollten die Ärztinnen nicht bekommen, wenn ihr Ehemann bereits eine Zulassung hatte. Somit mussten die Frauen in den Praxen mitarbeiten oder wechselten in die öffentliche Gesundheit, berichtete Schleiermacher. „Es war eine deutliche Anti-Doppelverdiner-Kampagne, die als Ausgrenzung auch über die Nazizeit hinausging.“ Denn auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden Frauen weiterhin am Studium gehindert, besonders verheiratete Frauen kamen nicht zum Zug. „In der Bundesrepublik hatten es Ärztinnen in der Nachkriegszeit schwer, in einem Krankenhaus eine feste Stelle oder eine Zulassung für eine Krankenkasse zu erhalten.“ Wie schon in der Vergangenheit „waren ökonomisch unattraktive und weniger prestigeträchtige Posten in den Gesundheitsämtern oder Praxisvertretungen“ die einzige Möglichkeit zur Berufsausübung, so Schleiermacher weiter. Auch die „Mithilfe-Ehen für Ärztinnen“ waren üblich, bei denen die Ärztin angestellt in der Praxis ihres Mannes arbeitete und dort oft die Tätigkeiten als Helferin ausübte. Die kritische Einstellung zur Berufstätigkeit von Frauen gab es in der Sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR nicht – hier fanden sich Frauen und Männer in allen Berufsgruppen.

Die Zeiten, die sich seitdem deutlich gewandelt haben, würdigten auch andere Rednerinnen zur Feier zum 100. Gründungstags des Bundes Deutscher Ärztinnen in Berlin. Der Ärztinnenbund setzte bereits 1981 das Thema Gendermedizin und richtete 1999 ein Kongress zum Thema „Frauenherzen schlagen anders“ aus – beides Themen, die in der aktuellen Gesundheitspolitik diskutiert werden. Bei der weiteren Förderung der geschlechterspezifischen Medizin stehe heute auch der Bundesgesundheitsminister an der Seite des Verbandes. Dies ließ Karl Lauterbach (SPD) in seiner Grußbotschaft per Video wissen – er lasse bei diesem Thema „gegenüber den Ländern nicht locker.“

Zu den Arbeitsschwerpunkten des Verbandes zählt auch die wissenschaftliche Analyse „Medical Women on Top“, die seit 2019 analysiert, wie viele Frauen an die Spitze von Universitätskliniken gekommen sind. Bei 13 Prozent verharrt der Wert seit Jahren. Eine neue Auswertung wird für Ende dieses Jahres erwartet. Auch in anderen Spitzenpositionen ist es für Ärztinnen schwierig – die langjährige Vizepräsidentin des Ärztinnenbundes und heutige Senior Consultant des Verbandes, Prof. Dr. med. Gabriele Kaczmarczyk, hat mit ihrer Forschungsarbeit die strukturelle als auch eine subtile Diskriminierung von Ärztinnen im Blick. Dabei würden Bewerbungen von Ärztinnen mit Kindern zum Teil abgeschmettert, da Arbeitszeiten zu unflexibel und die Kinderbetreuung an vielen Universitätskliniken verbesserungswürdig seien. Außerdem: „Die Berufungskommissionen sind überwiegend mit Männern besetzt.“ Die hätten oft wenig Verständnis dafür, dass Frauen häufig viele zusätzliche Aufgaben neben dem Beruf haben und sich im Durchschnitt deutlich mehr als Männer um die Sorgearbeit kümmern.

Blickt man auf die Studierenden, dann gab es 1998 erstmals Parität zwischen den Geschlechtern im Medizinstudium: Von den 82 333 Studierenden, waren 41 188 männlich und 41 145 weiblich. 1975 waren es noch von den insgesamt 43 368 Studierenden 30 801 männlich und 12 567 weiblich. 2023 gibt es ein ganz anderes Bild: von den 113 383 Studierenden – die höchste je gemessene Zahl im Medizinstudium – sind es 40 139 Männer und 73 244 Frauen.

Sabine Schleiermacher

Sabine Schleiermacher vom Institut für Geschichte in der Medizin und Ethik in der Medizin

Kinder bleiben Hindernis für Karriere

Doch die nackten Zahlen sowie die Parität bei der Berufstätigkeit lassen den Ärztinnenbund nicht beruhigt in die Zukunft schauen: Einer Ärztin von vor 100 Jahren würde Präsidentin Groß von Erfolgen und Problemen berichten: „Als Erstes merke ich an, dass im ärztlichen Beruf inzwischen knapp 50 Prozent Ärztinnen tätig sind, also grundsätzlich Parität herrscht. Dann weise ich aber darauf hin, dass die Gleichverteilung der Geschlechter umso mehr verloren geht, je höher die Hierarchieebene ist“, sagte Groß dem Deutschen Ärzteblatt im Vorfeld des Jubiläums.

Auf der Festveranstaltung erklärte sie: „Kinder sind ein Karrierehindernis – dieser Satz kann so einfach nicht mehr stehen bleiben.“ Der Ärztinnenbund setzt sich seit Jahrzehnten dafür ein, dass die Verkündung der Schwangerschaft gegenüber dem Arbeitgeber oder auch während des Studiums nicht den „Rausschmiss“ aus Kursen, dem OP oder der Arbeitsgruppe bedeutet. „Denn damit werden Facharztprüfungen immer weiter nach hinten verschoben, für eine akademische Karriere fehlen die Veröffentlichungen.“ In der Zeit, so Groß, „ziehen die Männer sprichwörtlich an den Frauen vorbei“. Dies dürfe in der Gesellschaft so nicht hingenommen werden. „Die Ärzteschaft kann es sich nicht mehr leisten, so viele gute Ärztinnen aus der Versorgung zu verlieren.“ Es sei positiv, dass sich beim Thema Mutterschutz und Weiterarbeit in der Stillzeit immer mehr Fachverbände und Fachgesellschaften Positivlisten erarbeiten. Darin wird festgehalten, was eine Ärztin in dieser Zeit der Familiengründung tun darf – eine Hilfestellung für Arbeitgeber, die trotz des neuen Mutterschaftsgesetzes von 2018 weiter viele Ärztinnen ins Berufsverbot schicken. Die damalige Reform sei „gut gemeint, aber schlecht umgesetzt“, so Groß. Außerdem fordert die Ärztinnenbundpräsidentin klarer geregelte Arbeitszeiten für Ärztinnen und Ärzte. „Warum muss es in Deutschland für eine Vollzeitstelle 40 Stunden plus die Wochenenddienste sein? In anderen Ländern geht es ja auch anders.“ Auch dies helfe, junge Ärztinnen – aber auch Ärzte – in der Versorgung wie in der Forschung zu halten.

Eva Winkler

Eva Winkler, Vorsitzende der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer

Für die Zukunft stelle sich für Prof. Dr. med. Dr. phil. Eva Winkler, Vorsitzende der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer, nun die Frage: „Wie können wir ein Gesundheitssystem gestalten, dass geschlechtsunabhängig Anerkennung und Aufstiegschancen für alle bereithält?“ Dabei gehe es um die Vergütung von den Fachbereichen, in denen Ärztinnen hauptsächlich tätig sind, oder auch die Forschung: Diese müsse „geschlechtergerecht und geschlechtersensibel werden“, dazu zähle auch die Analyse von Forschungsdaten. Besonders mit Blick auf die Daten, mit denen die Künstliche Intelligenz (KI) trainiert werde, müsse auf Diskriminierung geachtet werden. Ärztinnen, so zeigt es Winkler aus verschiedenen Studien auf, seien oft besser in der Kommunikation mit den Patienten. Durch eine leitliniengerechte und damit oft zielgerichtetere Versorgung seien die Ergebnisse besser.

Für die Zukunft des Ärztinnenbundes – falls die geforderte Parität in den Spitzenämtern bis 2023 erreicht wird – sieht Präsidentin Groß noch viele Aufgaben als Ideengeberin: „Ich bin zuversichtlich, dass unsere Nachfolgerinnen weitere Themen finden, die unsere Gesellschaft voranbringen. Und wenn sich keine großen Themen mehr finden, dann bleibt Medizin immer noch ein Fach, welches sich permanent verändert“, sagt Groß.